Verbote und
Begrifflichkeiten haben eins gemeinsam: Sie werden irgendwann nicht mehr
hinterfragt. Dabei werden so manche Begriffe
ganz gezielt von einer
skandalsüchtigen Presse erfunden. Inzwischen mutierte jeder Mord zum „
Amoklauf“, obwohl von Amok manchmal keine Rede sein kann. Und es hat auch nichts mit einer „
Raubkopie“ zu tun, wenn unerlaubt eine Datei vervielfältigt wird, weil ein Raub nicht nur die Wegnahme einer Sache, sondern auch die Anwendung von Gewalt erfordert. Die „
Produktpiraterie“ hat mit dem „Piratentum“ auch wenig zu tun, genauso wie auf dem Bild eines sogenannten „
Nacktscanners“ weniger zu erkennen ist als auf einem Röntgenbild. Der Begriff „
Killerspiel“ ist natürlich ebenfalls polemisch gemeint. Selbst wenn manche Leute glauben, damit eine treffende Bezeichnung für Computerspiele gefunden zu haben, in denen das
Töten von Menschen simuliert werde, so muss man sich doch fragen, weshalb es dann keine „
Killerfilme“ gibt? Jeder „James Bond“-Film würde die Definition eines „
Killerfilms“ erfüllen.
Bei
Verboten gilt das gleiche. Es gibt das berühmte
Affen-Experiment. Man sperrt Affen in einen Käfig. Darin befindet sich in der Mitte eine
Leiter, an deren oberen Ende sich
Bananen befinden. Sobald sich aber ein Affe auf die Leiter begibt, werden die anderen Affen
mit kaltem Wasser bespritzt. Irgendwann beginnen die Affen, ihren Artgenossen daran zu hindern, die Leiter zu betreten. Dann wird ein
neuer Affe in den Käfig gesetzt, ein anderer rausgeholt. Der neue Affe weiß nicht, dass es verboten ist, die Leiter zu betreten. Er wundert sich auch, als ihn die anderen Affen ziemlich aggressiv daran hindern. Erneut wird ein Affe ausgetaucht, und
erneut hindern ihn die Affen am Betreten der Leiter, auch der Affe, der zuvor selbst daran gehindert wurde, ohne den Grund zu kennen. Es werden immer mehr Affen ausgewechselt, bis keiner mehr den
Hintergrund mit dem kalten Wasser kennt. Dennoch halten sich alle brav an das Verbot, die Leiter zu betreten.
Altersfreigaben für Filme folgen inzwischen diesem Affenprinzip. Niemand hinterfragt, warum es überhaupt solche Altersfreigaben gibt und wie sie überhaupt zustande kamen. Auch hinterfragt niemand die doch eher
willkürlich wirkenden Altersstufen 6, 12, 16 und 18.
Natürlich: Viele Filme enthalten Darstellungen von
Gewalt und Sex. Wenn man glaubt, solche Darstellungen seien für Kinder und Jugendliche
ungeeignet, scheint eine Freigaberegelung die logische Konsequenz zu sein.
Nur: auch viele
Comics,
Romane oder
Zeitschriften enthalten Gewalt und Sex. Doch hier gibt es
keine Altersfreigabe. Warum? Ist es
logisch, dass ein
Disney-Film eine groß aufgedruckte
Altersfreigabe braucht, ein Heft wie die "
Bravo" jedoch nicht?
Unabhängig von den Medien: Warum klebt auf einer
Schnapsflasche nicht ein „ab 18 Jahren“-Logo? Jeder von uns ist sich klar, dass ein
Abflussreiniger nicht in
Kinderhände gehört. Die Frage ist aber: Ab welchem Alter kann man einem Kind den Umgang mit einem
Abflussreiniger zumuten? Wäre ein Aufkleber „
ab 12 Jahren“ bei einem Abflussreiniger richtig? Oder nicht doch lieber „
ab 16 Jahren“?
Lächerlich? Die Folgen, die der falsche Umgang eines Abflussreiniger hat, sind klar. Das Kind kann sich Verbrennungen oder andere schwere Verletzungen zuziehen. Was ein Film „ab 16“ bei einem Zehnjährigen „anrichtet“, ist aber
völlig unklar. Dennoch tut man gerade so, als seien die
Altersfreigaben bei Filmen von einem
Expertenteam nach geradezu
wissenschaftlichen Kriterien ermittelt worden.
Die ganze Prüferei hat allerdings eher
traditionelle Gründe. Die Prüfgremien testen nur den
Anteil von Sex und Gewalt, meist reduziert auf die schlichte Formel: Mehr
Nacktheit heißt mehr
Sex, mehr
Blut heißt mehr
Gewalt. Zwar behauptet die FSK immer wieder, man überprüfe auch den Kontext, das ist aber
schlichtweg Blödsinn. Man tut es eben
nicht. Ich sehe mir aus einer
obskuren Laune heraus gerade die alten Folgen von „
Der Denver-Clan“ auf DVD an. (Rückblickend empfinde ich „
Der Denver-Clan“ als
Serien-Kult und historisches Sittengemälde der
80er Jahre.) Ich bin bei Staffel 4 angekommen und sah inzwischen
drei Vergewaltigungsszenen. Einmal vergewaltigte Blake seine Ehefrau Kristle, was sie ihm sofort demütig verzieh. Kurz darauf wird sie schwanger, was sie als großes Glück empfindet. Das Kind wurde offenbar am Tag der Vergewaltigung gezeugt, weil es der einzige Tag war, an dem sie ihre Anti-Baby-Pille nicht nahm. In
Staffel 4 versucht Kristles Exmann Mark Jennings, Kristle zu vergewaltigen. Er zerreißt ihr die Bluse und wirft sie herum. Sie verzeiht auch ihm, weil er ihr vorher mal das Leben gerettet hat. Eine
weitere Szene betrifft Kirby, die von Adam vergewaltigt und daraufhin schwanger wird. Das Entsetzen packt sie jedoch erst, als sie von ihrer Schwangerschaft erfährt und sich fragt, wie sie das vor ihrem gerade angeheirateten Mann Jeff verheimlichen soll.
Altersfreigabe: „ab 12 Jahren“.
Warum? Weil man „
nichts sah“. Keine nackten Brüste, kein Blut. Und das ist nach wie vor
das einzige, was geprüft wird. Es ist natürlich letztlich auch das einzige, was überhaupt „
prüfbar“ ist. Weiter kann eine Prüfung nicht gehen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, schlechte Filme mit einer höheren Freigabe
zu bestrafen. Das aktuelle Vorgehen hat aber zur Folge, dass zum Beispiel die
zweite Staffel von „Lost“ mit einer Freigabe „
ab 18 Jahren“ versehen wurde, weil in ihr drastischere
Gewalt- und Folterszenen vorkamen. Dass eine Serie wie „
Lost“ dennoch intelligenter ist als „
Der Denver-Clan“ und dass sie mit ihrer Cleverness
Diskussionsstoffe innerhalb von Familien liefern kann, das wird offensichtlich von der FSK
nicht geprüft.
Natürlich wird „
Der Denver-Clan“ kaum „
Schäden“ bei
Zwölfjährigen hinterlassen. Da mag das
Frauenbild noch so
fragwürdig und der Umgang mit dem Thema
Homosexualität noch so
haarsträubend und
überholt sein. Der durchschnittliche 12jährige ist sicher schlauer als der „
Denver-Clan“ (wenn sich
überhaupt einer in dieser Altersgruppe findet, der sich für diese Serie interessiert). Ob es von Filmen hervorgerufene Schäden
überhaupt gibt, wird man ohnehin nie beweisen können.
Wie auch? Bei einem so
komplexen Gebilde wie dem Menschen kann man nicht einmal nachweisen, was der
tägliche Verzehr von zwei Tafeln Schokolade bewirkt, wie will man da Aussagen über die Wirkung eines Films treffen?
Offenbar gibt es jedoch etliche Personen
, die glauben, man könne die
Einflüsse von Filmen und Serien auf Kinder- und Jugendliche
gar nicht hoch genug einschätzen, anders ist das nun verpflichtend vorne auf dem Cover abzudruckende Logo in absurder Übergröße nicht zu erklären.
Wenigen ist klar, dass dieses FSK-Logo noch immer den
Moralvorstellungen des 19ten Jahrhunderts folgt. Da wurden nämlich erstmals die ersten
Filmvorführungen für Jugendliche verboten, weil man in ihnen – jahrmarktsmäßig – nackte oder leicht bekleidete Frauen zu sehen bekam. Daran hat sich nicht viel geändert.
Sex und Gewalt sind nach wie vor die
einzigen Prüfkriterien. Dahinter steckt die Idee des
vorletzten Jahrhunderts, wonach Darstellungen von Sex und Gewalt zum "
schädlichen Schund" erklärt wurden, dem sich "
beeinflussbare Personen" (damals zählte man übrigens auch die Frauen dazu) entziehen sollten.
Dabei wird die Jugend – und nicht nur die – aktuell von etwas
ganz anderem bedroht: Von der in den Medien immer heftiger um sich greifenden
Idiotie. Dagegen wirkt eine Folge aus „
Der Denver-Clan“ manchmal so gehaltvoll wie ein antikes Theaterstück.
Aber das spielt eben bei Altersfreigaben
keine Rolle. Ein Film kann noch so dümmlich sein, solange er sich in Sachen
Sex und Gewalt zurückhält, gibt es eine Freigabe „
ab 0 Jahren“. Die prangt dann groß auf dem Filmcover, und sie redet den Eltern ein, jetzt
vollkommen unbesorgt zugreifen zu können. Und auch wenn inzwischen jeder Käufer einer DVD
zwangsbelehrt wird, dass die Altersfreigabe
keine Empfehlung sei, so wird sie doch sicher von vielen als "
Unbedenklichkeits-Siegel" wahrgenommen. Damit ist sie eine Empfehlung. So wie das Logo "
Biokost". Ein niedriges FSK-Logo heißt: "Für den kindlichen Geist
bekömmlich." Und was
bekömmlich ist, kann nicht zugleich
schlecht sein.
Und das wird auch in 50 Jahren noch so sein. Denn wie gesagt: Verbote werden ab einem bestimmten Punkt
nicht mehr hinterfragt.
Ich aber
hinterfrage!
Ich frage: Ist es wirklich
elementar wichtig, Kinder- und Jugendliche vor
bestimmten Filmen zu schützen?
Wichtiger als bei
anderen Gebrauchsgegenständen mit
realen Giftstoffen und Säuren?
So wichtig, dass
jedes Cover mit einem Logo
verschandelt werden muss? So wichtig, dass man an manche Filme
auch als Erwachsener nicht herankommt?
Kann man die "
Geeignetheit" von Filmen wirklich anhand weniger Kriterien
kategorisieren? Sind
Sex und Gewalt wirklich die einzigen maßgeblichen Kriterien? Sind sie für Kinder schädlicher als
dummdreiste Sprüche und
inhaltsleeres Blabla?
Ist es in
Zeiten, in denen das Internet
keinerlei Kontrollen unterliegt (gar nicht unterliegen
kann), nicht überholt, käufliche Medienträger mit
Logos zu versehen?
Wäre den Eltern nicht viel mehr mit einem Logo geholfen, das
gute Filme für
bestimmte Altersklassen empfiehlt, anstatt mit einer
antiquierten und
nichtssagenden Sex- und Gewaltprüfung (selbst bei
Tierdokumentarfilmen!) den zum Teil
übelsten Blödsinn als "ab XY Jahren geeignet" zu veredeln? Würde ein solches Logo nicht vielleicht eher die
Qualität fördern?