Kann es sein, dass im Moment die
Scheinheiligkeit der Gesellschaft einen
neuen Level angenommen hat? Oder fällt sie mir einfach nur
mehr auf als früher?
Da gibt es ein
krisengesichertes oberes Drittel der Gesellschaft - meist höhere Beamte und Vermögende - die in die
Politik gehen und die sich mehr um die
Sicherheit der Banken als um die
soziale Sicherheit der Bevölkerung scheren. Da wird absichtlich
Lohndumping gefördert, und dann jammert man über das
fehlende Geld bei der Sozialversicherung. Da treibt man die
Privatisierung der
Rentenversorgung voran und kürzt damit zugleich die
Einnahmenseite der gesetzlichen Rente. Da erhöht die SPD das
Renteneintrittsalter auf
67 Jahre, und zwei Jahre später stellt Sigmar Gabriel
ganz überrascht fest, dass es für Menschen im Rentenalter
kaum Arbeitsplätze gibt.
Das, was an
Lügen über die angebliche
soziale Hängematte von Hartz-IV-Empfängern verbreitet wird, erinnert mich allmählich an einen Film, den 1942 die Nazis in Auftrag gaben. Mit
getürkten Aufnahmen sollte gezeigt werden, wie
luxuriös die Menschen in
Warschauer Ghetto leben. Der Film wurde aus unbekannten Gründen nie fertig gestellt, vielleicht war selbst den Nazis eine solche Lüge zu dreist. Heute erzählt man hingegen
ungeniert die Lüge, Hartz-IV-Empfänger seien alle
unausgebildet (dabei hat die Hälfte eine abgeschlossene Berufsausbildung) und lebten zum Teil
besser und reicher als die arbeitende Bevölkerung. Zum einen will man offenbar
davon ablenken, dass Hartz-IV nichts anderes ist als
staatlich verordnete Armut. Zum anderen will man die Bevölkerung damit
gezielt auf
weitere Kürzungen im Sozialbereich einstimmen.
Parallel dazu wird immer wieder der
Fachkräftemangel beklagt. Dabei gibt es einen solchen Mangel überhaupt nicht, sieht man sich die
Zahl der gut ausgebildeten Jobsuchenden an. Nur sind die halt "
zu alt" (über 40) und "
zu teuer" (die wollen dreisterweise wenigstens soviel verdienen, um davon einigermaßen gut leben zu können). Außerdem braucht die Industrie fürs Lohndumping natürlich ein
großes Heer an Arbeitslosen. Also hofft man nun auf
billige Inder und ärgert sich, dass die lieber nach Amerika gehen.
Aber ich weiß, ich weiß: Es ist
Optimismus angesagt. Ein
böser Spielverderber ist der, der behauptet, dass die deutsche Exportindustrie zurzeit vor allem von der Euro-Schwäche profitiert. Vielleicht will uns die Regierung ja einreden, es liege an der
unglaublich wichtigen Mehrwertsteuersenkung für Hotels, was den Steuerzahler eine schlappe
Milliarde (pro Jahr!) kostet.
Ein
halber Kommunist ist natürlich der, der es wagt zu behaupten, ein "
Sparpaket", das Hartz-IV-Empfänger belastet und Besserverdienende schont, sei
ungerecht. Und die Argumentationskette von einer Frau Schröder, die erklärt, weshalb man Hartz-IV-Empfängern das
Elterngeld wegnimmt, während man es oberen Einkommensschichten
ohne Abstriche belässt, ist doch auch
schlüssig. Wer dagegen lästert, der ist halt vom "
Sozialneid" befallen. Und gar keine Ahnung hat nun wirklich der, der einfach nicht sehen will, was für eine
ultimativ-genial-innovative Gesundheitsreform es doch war, als man einseitig die Krankenkassenbeiträge für Pflichtversicherte erhöhte. Wobei darin sogar
wirklich eine gewisse Logik steckt. Früher ging man noch davon aus, Arbeitnehmer
und Arbeitgeber seien an der
Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung interessiert. Doch warum sollte das heute einen Arbeitgeber interessieren? Der
Markt der Arbeitslosen bietet ihm doch jederzeit
hinreichend meist jüngeren und billigeren "
Ersatz".
Es muss herrlich sein für
krisensichere Regierende. Man kann
endlos Milliarden an Staatsgeldern verplempern, um die
Vermögen der Reichen (und damit die
Parteispenden) und die
Bonis der Banken-Manager zu schützen. Und dann kann man im gleichen Moment bei den
Sozialausgaben kürzen. Medien, die das hinterfragen, scheinen nahezu
ausgestorben.
Dank
Schröder und
Müntefering gibt es längst auch keine
politische Alternative mehr. Wer tatsächlich noch sowas Albernes wie
soziale Gerechtigkeit will, der wird eiskalt an die
Fanatiker der Linkspartei verwiesen.
Es gibt viele Punkte, die die Linkspartei
schlichtweg unwählbar machen. Aber selbst, wenn man diese für einen Moment
ignoriert: Viel erwarten muss man sich von dieser Partei auch nicht. Immerhin gönnt sich auch die Linkspartei einen
Parteivorsitzenden, der gerne
Porsche fährt und der aus
Steuergeldern neben den Diäten von fast
8000 Euro und der steuerfreien Pauschale von
4000 Euro noch mal rund
3.500 Euro Zulage von der Partei und weitere fast
2000 Euro von der Fraktion der "Linken" bekommt, obwohl er gar keine Funktion in der Bundestagsfraktion hat. Mit anderen Worten: Eine
grundlose Doppelbezahlung -
finanziert aus Steuergeldern. Das macht den Mann ungefähr so glaubwürdig wie eine Bischöfin, die
Verantwortung und Moral predigt und dann nachts
sturzbesoffen durch
rote Ampeln fährt.
Und alle
jammern.
Die Geistlichen beklagen einen
Verlust der Spiritualität. Komisch. Dabei müsste einem doch das religiöse Herz aufgehen, wenn christliche Bischöfe im Zusammenhang mit der Tragödie der "Loveparade" von einem "
strafenden Gott" schwafeln, ohne zu erklären, weshalb es dann angesichts jüngster Skandale der Kirche nicht unentwegt
Blitze auf den Petersdom hagelt.
Und die Politiker lamentieren als
Gipfel der Scheinheiligkeit kopfschüttelnd über die grassierende "
Politikverdrossenheit", obwohl nun auch der letzte erkennen kann, dass es sowohl
Regierenden als auch der "
Opposition" nur noch um die
eigenen Pfründe und den
Erhalt von Privilegien geht.