Freitag, 5. März 2010

Alt genug für einen Abflussreiniger

Verbote und Begrifflichkeiten haben eins gemeinsam: Sie werden irgendwann nicht mehr hinterfragt. Dabei werden so manche Begriffe ganz gezielt von einer skandalsüchtigen Presse erfunden. Inzwischen mutierte jeder Mord zum „Amoklauf“, obwohl von Amok manchmal keine Rede sein kann. Und es hat auch nichts mit einer „Raubkopie“ zu tun, wenn unerlaubt eine Datei vervielfältigt wird, weil ein Raub nicht nur die Wegnahme einer Sache, sondern auch die Anwendung von Gewalt erfordert. Die „Produktpiraterie“ hat mit dem „Piratentum“ auch wenig zu tun, genauso wie auf dem Bild eines sogenannten „Nacktscanners“ weniger zu erkennen ist als auf einem Röntgenbild. Der Begriff „Killerspiel“ ist natürlich ebenfalls polemisch gemeint. Selbst wenn manche Leute glauben, damit eine treffende Bezeichnung für Computerspiele gefunden zu haben, in denen das Töten von Menschen simuliert werde, so muss man sich doch fragen, weshalb es dann keine „Killerfilme“ gibt? Jeder „James Bond“-Film würde die Definition eines „Killerfilms“ erfüllen.

Bei Verboten gilt das gleiche. Es gibt das berühmte Affen-Experiment. Man sperrt Affen in einen Käfig. Darin befindet sich in der Mitte eine Leiter, an deren oberen Ende sich Bananen befinden. Sobald sich aber ein Affe auf die Leiter begibt, werden die anderen Affen mit kaltem Wasser bespritzt. Irgendwann beginnen die Affen, ihren Artgenossen daran zu hindern, die Leiter zu betreten. Dann wird ein neuer Affe in den Käfig gesetzt, ein anderer rausgeholt. Der neue Affe weiß nicht, dass es verboten ist, die Leiter zu betreten. Er wundert sich auch, als ihn die anderen Affen ziemlich aggressiv daran hindern. Erneut wird ein Affe ausgetaucht, und erneut hindern ihn die Affen am Betreten der Leiter, auch der Affe, der zuvor selbst daran gehindert wurde, ohne den Grund zu kennen. Es werden immer mehr Affen ausgewechselt, bis keiner mehr den Hintergrund mit dem kalten Wasser kennt. Dennoch halten sich alle brav an das Verbot, die Leiter zu betreten.

Altersfreigaben für Filme folgen inzwischen diesem Affenprinzip. Niemand hinterfragt, warum es überhaupt solche Altersfreigaben gibt und wie sie überhaupt zustande kamen. Auch hinterfragt niemand die doch eher willkürlich wirkenden Altersstufen 6, 12, 16 und 18.

Natürlich: Viele Filme enthalten Darstellungen von Gewalt und Sex. Wenn man glaubt, solche Darstellungen seien für Kinder und Jugendliche ungeeignet, scheint eine Freigaberegelung die logische Konsequenz zu sein. Nur: auch viele Comics, Romane oder Zeitschriften enthalten Gewalt und Sex. Doch hier gibt es keine Altersfreigabe. Warum? Ist es logisch, dass ein Disney-Film eine groß aufgedruckte Altersfreigabe braucht, ein Heft wie die "Bravo" jedoch nicht?

Unabhängig von den Medien: Warum klebt auf einer Schnapsflasche nicht ein „ab 18 Jahren“-Logo? Jeder von uns ist sich klar, dass ein Abflussreiniger nicht in Kinderhände gehört. Die Frage ist aber: Ab welchem Alter kann man einem Kind den Umgang mit einem Abflussreiniger zumuten? Wäre ein Aufkleber „ab 12 Jahren“ bei einem Abflussreiniger richtig? Oder nicht doch lieber „ab 16 Jahren“?

Lächerlich? Die Folgen, die der falsche Umgang eines Abflussreiniger hat, sind klar. Das Kind kann sich Verbrennungen oder andere schwere Verletzungen zuziehen. Was ein Film „ab 16“ bei einem Zehnjährigen „anrichtet“, ist aber völlig unklar. Dennoch tut man gerade so, als seien die Altersfreigaben bei Filmen von einem Expertenteam nach geradezu wissenschaftlichen Kriterien ermittelt worden.

Die ganze Prüferei hat allerdings eher traditionelle Gründe. Die Prüfgremien testen nur den Anteil von Sex und Gewalt, meist reduziert auf die schlichte Formel: Mehr Nacktheit heißt mehr Sex, mehr Blut heißt mehr Gewalt. Zwar behauptet die FSK immer wieder, man überprüfe auch den Kontext, das ist aber schlichtweg Blödsinn. Man tut es eben nicht. Ich sehe mir aus einer obskuren Laune heraus gerade die alten Folgen von „Der Denver-Clan“ auf DVD an. (Rückblickend empfinde ich „Der Denver-Clan“ als Serien-Kult und historisches Sittengemälde der 80er Jahre.) Ich bin bei Staffel 4 angekommen und sah inzwischen drei Vergewaltigungsszenen. Einmal vergewaltigte Blake seine Ehefrau Kristle, was sie ihm sofort demütig verzieh. Kurz darauf wird sie schwanger, was sie als großes Glück empfindet. Das Kind wurde offenbar am Tag der Vergewaltigung gezeugt, weil es der einzige Tag war, an dem sie ihre Anti-Baby-Pille nicht nahm. In Staffel 4 versucht Kristles Exmann Mark Jennings, Kristle zu vergewaltigen. Er zerreißt ihr die Bluse und wirft sie herum. Sie verzeiht auch ihm, weil er ihr vorher mal das Leben gerettet hat. Eine weitere Szene betrifft Kirby, die von Adam vergewaltigt und daraufhin schwanger wird. Das Entsetzen packt sie jedoch erst, als sie von ihrer Schwangerschaft erfährt und sich fragt, wie sie das vor ihrem gerade angeheirateten Mann Jeff verheimlichen soll. Altersfreigabe: „ab 12 Jahren“.

Warum? Weil man „nichts sah“. Keine nackten Brüste, kein Blut. Und das ist nach wie vor das einzige, was geprüft wird. Es ist natürlich letztlich auch das einzige, was überhaupt „prüfbar“ ist. Weiter kann eine Prüfung nicht gehen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, schlechte Filme mit einer höheren Freigabe zu bestrafen. Das aktuelle Vorgehen hat aber zur Folge, dass zum Beispiel die zweite Staffel von „Lost“ mit einer Freigabe „ab 18 Jahren“ versehen wurde, weil in ihr drastischere Gewalt- und Folterszenen vorkamen. Dass eine Serie wie „Lost“ dennoch intelligenter ist als „Der Denver-Clan“ und dass sie mit ihrer Cleverness Diskussionsstoffe innerhalb von Familien liefern kann, das wird offensichtlich von der FSK nicht geprüft.

Natürlich wird „Der Denver-Clan“ kaum „Schäden“ bei Zwölfjährigen hinterlassen. Da mag das Frauenbild noch so fragwürdig und der Umgang mit dem Thema Homosexualität noch so haarsträubend und überholt sein. Der durchschnittliche 12jährige ist sicher schlauer als der „Denver-Clan“ (wenn sich überhaupt einer in dieser Altersgruppe findet, der sich für diese Serie interessiert). Ob es von Filmen hervorgerufene Schäden überhaupt gibt, wird man ohnehin nie beweisen können. Wie auch? Bei einem so komplexen Gebilde wie dem Menschen kann man nicht einmal nachweisen, was der tägliche Verzehr von zwei Tafeln Schokolade bewirkt, wie will man da Aussagen über die Wirkung eines Films treffen?

Offenbar gibt es jedoch etliche Personen, die glauben, man könne die Einflüsse von Filmen und Serien auf Kinder- und Jugendliche gar nicht hoch genug einschätzen, anders ist das nun verpflichtend vorne auf dem Cover abzudruckende Logo in absurder Übergröße nicht zu erklären.

Wenigen ist klar, dass dieses FSK-Logo noch immer den Moralvorstellungen des 19ten Jahrhunderts folgt. Da wurden nämlich erstmals die ersten Filmvorführungen für Jugendliche verboten, weil man in ihnen – jahrmarktsmäßig – nackte oder leicht bekleidete Frauen zu sehen bekam. Daran hat sich nicht viel geändert. Sex und Gewalt sind nach wie vor die einzigen Prüfkriterien. Dahinter steckt die Idee des vorletzten Jahrhunderts, wonach Darstellungen von Sex und Gewalt zum "schädlichen Schund" erklärt wurden, dem sich "beeinflussbare Personen" (damals zählte man übrigens auch die Frauen dazu) entziehen sollten.

Dabei wird die Jugend – und nicht nur die – aktuell von etwas ganz anderem bedroht: Von der in den Medien immer heftiger um sich greifenden Idiotie. Dagegen wirkt eine Folge aus „Der Denver-Clan“ manchmal so gehaltvoll wie ein antikes Theaterstück.

Aber das spielt eben bei Altersfreigaben keine Rolle. Ein Film kann noch so dümmlich sein, solange er sich in Sachen Sex und Gewalt zurückhält, gibt es eine Freigabe „ab 0 Jahren“. Die prangt dann groß auf dem Filmcover, und sie redet den Eltern ein, jetzt vollkommen unbesorgt zugreifen zu können. Und auch wenn inzwischen jeder Käufer einer DVD zwangsbelehrt wird, dass die Altersfreigabe keine Empfehlung sei, so wird sie doch sicher von vielen als "Unbedenklichkeits-Siegel" wahrgenommen. Damit ist sie eine Empfehlung. So wie das Logo "Biokost". Ein niedriges FSK-Logo heißt: "Für den kindlichen Geist bekömmlich." Und was bekömmlich ist, kann nicht zugleich schlecht sein.

Und das wird auch in 50 Jahren noch so sein. Denn wie gesagt: Verbote werden ab einem bestimmten Punkt nicht mehr hinterfragt.

Ich aber hinterfrage!

Ich frage: Ist es wirklich elementar wichtig, Kinder- und Jugendliche vor bestimmten Filmen zu schützen? Wichtiger als bei anderen Gebrauchsgegenständen mit realen Giftstoffen und Säuren? So wichtig, dass jedes Cover mit einem Logo verschandelt werden muss? So wichtig, dass man an manche Filme auch als Erwachsener nicht herankommt?

Kann man die "Geeignetheit" von Filmen wirklich anhand weniger Kriterien kategorisieren? Sind Sex und Gewalt wirklich die einzigen maßgeblichen Kriterien? Sind sie für Kinder schädlicher als dummdreiste Sprüche und inhaltsleeres Blabla?

Ist es in Zeiten, in denen das Internet keinerlei Kontrollen unterliegt (gar nicht unterliegen kann), nicht überholt, käufliche Medienträger mit Logos zu versehen?

Wäre den Eltern nicht viel mehr mit einem Logo geholfen, das gute Filme für bestimmte Altersklassen empfiehlt, anstatt mit einer antiquierten und nichtssagenden Sex- und Gewaltprüfung (selbst bei Tierdokumentarfilmen!) den zum Teil übelsten Blödsinn als "ab XY Jahren geeignet" zu veredeln? Würde ein solches Logo nicht vielleicht eher die Qualität fördern?

1 Kommentar:

  1. Und ich dachte die FSK-Sache wäre noch einfacher:

    FSK12: Der Gute bekommt das Mädchen.
    FSK16: Der Böse bekommt das Mädchen.
    FSK18: Alle bekommen das Mädchen.

    Ne aber im Ernst, dämlich finde ich ja, dass Filme hierzulande trotz FSK18 geschitten werden.

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