Was macht man als Rezensent mit einem Film wie Joe Wrights "Anna Karenina"?
Nun könnte ich viele Zeilen darauf verwenden, schlau daherzureden. Ich könnte ausführen, dass bei diesem Film letztlich Anspruch und Ergebnis auseinanderfallen. Ich könnte palavern, dass der Film optisch opulent und schauspielerisch gut ist, aber als Experiment zu uneinheitlich, sodass das Endergebnis nicht überzeugt.
Das wäre unglaublich langweilig.
Oder ich könnte versuchen, etwas ganz Witziges zu schreiben. Das wiederum wäre nervtötend. Abgesehen vom göttlichen Mister Plinkett und von den Machern von Honest Trailers gehen mir diese krampfhaft auf witzig getrimmten Schwafel-Rezensionen tierisch auf den Geist.
Bleibt nur noch absolute Offenheit. Hier kommt mir Marcel Reich-Ranicki in den Sinn, der einmal sagte, die Deutlichkeit sei die Höflichkeit des Kritikers.
Daher hier in aller Deutlichkeit: Der Film "Anna Karenina" ist scheiße!
Und nein, das sage ich nicht nur deshalb, weil ich im Kino meine Handschuhe liegen lassen und nicht mehr zurückbekommen habe.
Der Film ist aus dem gleichen Grund scheiße wie "Cloud Atlas".
Warum? Warum sage ich so etwas über Filme wie "Cloud Atlas" und "Anna Karenina", die doch mit guten Kritiken überhäuft wurden und die doch genau das Niveau zu haben scheinen, das im Kino angeblich so spärlich zu finden ist?
Weil sie beide scheiße sind.
Weil beide Filme etwas sein wollen, das sie nicht sind: Hohe Kunst.
Nichts ist lächerlicher als ein Autor, der sich einbildet, hohe Kunst schreiben zu müssen, und dann etwas abliefert, das nichts dergleichen ist. Dann lieber ein Mann wie Dan Brown oder eine Frau wie E. L. James. (Vielleicht denkt jetzt der eine oder andere: "Wer ist denn bitte E. L. James?" Hier die Antwort: E. L. James ist Autorin dieser "Shades of Grey"-Bücher. Ist fast schon so etwas wie die 100.000-Euro-Frage bei Jauch, denn ich hätte auch keine Ahnung gehabt, wer E. L. James ist.)
Lieber einen gut gemachten Blockbuster, der nichts anderes sein will als ein gut gemachter Blockbuster, als irgendein geschwurbelter Film, der sich für hohe Filmkunst ausgibt.
"Cloud Atlas" war toll gespielt und inszeniert. Nachdem ich mich in den Film hineingefunden hatte, fühlte ich mich sehr gut unterhalten. Aber offenbar wollte "Cloud Atlas" mehr sein als die Summe seiner Teile. Und genau das war er schlicht und ergreifend nicht. Die Teile selbst wiederum waren nichts anderes als vollkommen banale Versatzstücke aus klischeetriefenden Kurzgeschichten.
"Anna Karenina" protzt mit absurd inszenierten Szenen, die überhaupt keinen Sinn ergeben. Warum spielt das ganze in einer Art lebendigen Theater? "Anna Karenina" ist kein Theaterstück. Es ist ein Roman. Warum also so tun, als würde man hier ein Theaterstück auf die Leinwand bringen?
Was sollte diese komische Szene mit den Büroarbeitern, die im Gleichtakt Papiere stempeln? Sollte das witzig sein? In dem genialen Musical-Film "The Producers" war es witzig. Hier war es einfach nur albern und scheiße.
In einer schlauen Kritik lese ich, dass die russische Adelsgesellschaft wie ein Theaterstück inszeniert ist, in dem jeder nur eine Rolle spielt. Erst als Anna Karenina die wahre Liebe findet, bricht sie aus ihrer Rolle aus und die Bilder werden real.
Das ist eine nette Erklärung.
Dennoch ist es scheiße.
Weil es nichts daran ändert, dass es ein albern-aufdringliches Stilmittel ist, das übrigens auch in merkwürdigen, traumartigen Szenen zum Einsatz kommt, nachdem sich Anna Karenina verliebt hat.
Und dann lese ich immer wieder das Wort "bildgewaltig". Wenn "Bildgewalt" ein legitimer Grund ist, einen Film großartig zu finden, dann darf sich nie wieder jemand dieser angeblich so anspruchsvollen Kritiker darüber empören, dass andere Zuschauer einen Film wie "Transformers" toll finden.
Das Thema "Bildgewalt" (ein generell komisches Wort) ist ein derart weites Feld, dass ich darüber einen eigenen Blogeintrag schreiben möchte. Daher nur kurz: Wo fängt eindrucksvolle Bildgewalt an, und wo wird es zum flachen Effekte-Spektakel?
Vielleicht glauben manche Kritiker, dass die "Bildgewalt" von Filmen wie "Transformers" oder "The Avengers" irgendwie anders hergestellt wird als die "Bildgewalt" von Filmen wie "Anna Karenina", und dass diese Art von Bildgewalt deshalb künstlerisch werthaltiger sei.
Diese Kritiker ahnen wahrscheinlich nicht, wie sehr sie sich irren. Die Effekte für "Anna Karenina" unterscheiden sich in der Herstellung verblüffend wenig von den Effekten aus Blockbuster-Filmen.
Wer einen wahrhaft bildgewaltigen, in sich stimmigen und durchgehend fesselnden Film sehen möchte, der soll sich Lars von Triers "Melancholia" ansehen. Das ist ein Film, bei dem das Wort "Bildgewalt" seine Berechtigung hat, denn die Bilder kriegt man so schnell nicht aus dem Kopf. Und jeder einzelne Effekt entfaltet exakt die beabsichtigte Wirkung.
Und das ist eben der Unterschied zwischen einem Film wie "Melancholia" und "Anna Karenina". "Melancholia" ist hohe Filmkunst. "Anna Karenina" hat nur ein unterhaltsames Effektefeuerwerk, das im Idealfall der Unterhaltung dient, zugleich aber zur großen Kunst hochstilisiert werden soll.
Dienstag, 11. Dezember 2012
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Vielen Dank für Deinen Kommentar. Du musst Dich nicht registrieren oder einloggen. Genau aus diesem Grund aber muss ich den Kommentar erst prüfen. Das werde ich so schnell wie möglich tun und ihn dann freischalten.