Nachdem sich in New York ein 18-jähriger Student von der George-Washington-Brücke stürzte, nachdem ihn Mitbewohner des Wohnheims heimlich beim schwulen Sex gefilmt und diesen Film ins Internet gestellt hatten, wurde in einigen Medien gerne berichtet, dass die Schwulenfeindlichkeit in den USA zunehme.
Gut. Mag sein, dass sich der Junge nicht von der Brücke gestürzt hätte, hätte er Sex mit einem Mädchen gehabt, wäre dabei gefilmt worden und seine Mitbewohner hätten dieses Video veröffentlicht. Vielleicht wäre er aber über einen derartigen Vertrauensbruch genauso bestürzt gewesen. Denn, schwul oder nicht: Das eigentliche Verbrechen an dieser Geschichte ist, dass hier Mitbewohner die Intimssphäre dieses Jungen verletzten und diese intimen Bilder ins Internet stellten.
Das ist das eigentlich Schreckliche an der Geschichte. Und ich denke, das ist es auch, was zurzeit zunimmt. Und das weltweit: Das Problem des sogenannten "Cyber-Mobbings".
Das Internet macht jeden Privatmann zum Chef der BILD-Zeitung. Das heißt: Jeder Dummkopf kann über das Internet mit ein paar Mausklicks jede Schlagzeile in die Welt posaunen. Inzwischen braucht man nicht mal mehr Mausklicks oder technisches Wissen. Mit Handys und iPods kann man - so einfach wie früher das Fotografieren mit einer Kodak-Kamera - filmen und veröffentlichen.
Dass die Medien das Cyber-Mobbing nicht so gerne anklagen und lieber von Schwulenfeindlichkeit in anderen Ländern schreiben, ist verräterisch. Denn die Frage ist doch: Wer hat denn die Unkultur des Cyber-Mobbings überhaupt aufgebracht?
Wie soll sich denn eine Jugend verhalten, die unter dem Einfluss von verheerenden Nachmittags-Talkshows aufwuchs, in denen es nur darum ging, von der "Norm" abweichende Personen anzuprangern und vorzuführen? Man denke nur an die ganzen "Konfrontations-Talks", in denen vor laufender Kamera die Liebe gekündigt oder das Ergebnis eines Vaterschaftstests verkündet wurden.
Mögen diese Szenen auch oftmals inszeniert gewesen sein: Es war eine Legitimation von Grenzüberschreitung.
In enorm erfolgreichen Formaten wie "Deutschland sucht den Superstar" werden Leute vorgeführt und bloßgestellt. Gezielt. Denn es gilt: Je gemeiner, je peinlicher und entwürdigender, umso höher ist die Quote. In Sendungen wie "Big Brother" befinden sich sogar auf den Toiletten Kameras.
Stefan Raab machte das Bloßstellen von Privatpersonen in einem Massenmedium zum Millionengeschäft. Die Strafen, die dafür verhängt wurden, dass er im Fernsehen eine Schülerin als potenzielle Pornodarstellerin und eine türkische Mutter mit Schultüte als Dealerin bezeichnete, zahlt seine Produktionsfirma wahrscheinlich aus der Portokasse.
Dann die ganzen Journalisten-Formate wie "Stern TV", in denen über fiktive Suchanzeigen Leute geködert werden, die sich im harmlosesten Fall illegale Drogen besorgen wollen. Sie werden gefilmt und - wenn auch verpixelt - vorgeführt. RTL2 zeigt gerade eine Sendung namens "Tatort Internet", die unter dem Deckmantel der Aufklärung potenzielle Kinderschänder in Chatrooms mit falschen Teenager-Profilen lockt, um sie vor laufender Kamera zu entlarven. Sieht man sich das sonstige Programm von RTL2 an, dann ist mehr als offensichtlich, dass hier mit sexistischem Voyeurismus Quote gemacht werden soll. Dass sich eine Frau wie Stephanie zu Guttenberg für ein solch durchschaubares Spiel hergibt, macht es noch schlimmer.
Gelästert wird viel. Und es ist nicht immer politisch korrekt. Aber es ist einfach ein Unterschied, ob dies im Privaten geschieht - und da kann es schlimm genug sein - oder ob es in die Öffentlichkeit gezerrt wird. Wenn einer Jugend dafür jegliches Gespür abhanden gekommen ist, wundert es mich nicht. Woher hätten sie dieses Gespür denn lernen sollen? Die Mainstream-Medien haben hier nicht nur auf ganzer Linie versagt, sie haben einer ganzen Generation gezeigt, wie Cyber-Mobbing funktioniert.
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Ich kann dir nur 250%ig zustimmen. Als Lehrer weiß ich, dass es immer wieder Konflikte gibt, weil sich Schüler in Chats gegenseitig beleidigen und dann meinen die Ehre in Real wiederherstellen zu müssen...
AntwortenLöschenSehr schön formuliert! Ich glaube, ich werde auch keinen Fernseher mehr anschaffen, wenn diese Medienabgabe kommt und ich sowieso zahlen muss. Der Schrott überwiegt einfach die Qualität, und ob ich es schaffe, den Jungs genügend Medienkompetenz beizubringen??? Das mache ich dann doch lieber ohne dieses Volksverdummungsgerät.
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