Ein tragischer Mordfall, gar nicht so weit von meinem Wohnort entfernt, bietet über die furchtbare Tat hinaus Gründe zum Kopfschütteln.
Der Täter war ein 18jähriger und angeblich psychisch kranker Mann. Das reicht natürlich gerade einmal für eine politisch unkorrekte Schublade. Hier zögert jeder Journalist.
Andererseits benötigt ein Journalist die Schublade so sehr wie das Internet zum Recherchieren.Wenn schon nicht für den Leser, dann zumindest für sich selbst.
Und nach wie vor bietet sich hier eine Gruppe an, die in unserer Gesellschaft keinerlei Schutz genießt: die Gruppe der Video- und Computerspieler.
Und genau darauf hat sich die Abenzeitung München gestürzt, wie auf der deutschen Homepage von ign zu lesen ist. Bereits im Aufmacher des Beitrags wurde betont, dass der junge Mann offenbar das Videospiel "Final Fantasy XIV" gespielt hat. Und natürlich fehlte auch nicht ein passender Screenshot aus diesem Spiel.
So weit, so üblich, darüber mag man sich gar nicht mehr aufregen. Auch nicht darüber, dass die "Final Fantasy"-Reihe jugendfrei (ab 12 Jahren) und zum Teil kitschiger als ein Disneyfilm ist, was zwar jeder weiß, der auch nur entfernt von Computerspielen gehört hat, was aber dem durchschnittlichen Abendzeitung-Leser unbekannt sein dürfte.
Absurd wird es allerdings, dass der Artikelschreiber sogar selbst darauf kam, dass "Final Fantasy" nicht zu den "brutalen" Games zählt. Noch extremer: Das Online-Profil zeigte angeblich, dass der Täter offenbar nur kurz eine Demo-Version des Spiels angetestet hat.
Doch dafür findet der Artikelschreiber natürlich sofort eine Erklärung. Das Spiel, bei dem es "in erster Linie" nicht um "Gewalt" gehe, war dem Täter "vielleicht zu wenig".
Mit anderen Worten: Es wird hier frei etwas zusammenphantasiert, ganz egal, ob der Täter etwas getan oder exakt das gleiche nicht getan hat.
Angeblich ging es der Zeitung in dem Artikel darum, Lesern die Fragen nach dem "warum" umfassend zu beantworten. Und so eine umfassende Antwort wertet natürlich alles aus, was irgendwie in die kleine Welt der Vorurteile passt.
Mit dieser Methode kann man jedes Verbrechen zum Anlass nehmen, Stimmung zu machen. Man könnte zum Beispiel behaupten, der Täter sei Fleischesser, um zu zeigen, dass Fleischesser die schlechteren Menschen sind. Und als Beleg dafür nimmt man eine angebissene Tafel Schokolade. Und wenn man dann selbst darauf kommt, dass Schokolade gar kein Fleisch enthält, dann war eben genau das der Grund, weshalb der Täter sie nur angebissen und nicht aufgegessen hat. Sie war ihm wohl irgendwie nicht blutig genug.
Oder man unterstellt, der Täter sei ein Fan von Horrorvideos gewesen. Der Beweis: Eine angefangene Videokassette von "Sissi - Kaiserin von Österreich". Auch wenn man natürlich einräumen muss, dass die "Sissi"-Filme nicht zu den brutalen Filmen zählen, die Bandposition zeigt eindeutig: Der Film wurde offenbar nicht fertig geguckt, weil - "vermutlich" - nicht blutrünstig genug.
Oder ein Pilcher-Roman mit Lesezeichen hinter den ersten zehn Seiten. Wahrscheinlich nicht zu Ende gelesen, da eben kein Blut triefender Stephen-King-Roman. Eine unzerkratzte Schallplatte von Mozarts "Kleiner Nachtmusik", offenbar selten gehört, da kein brutales Heavy Metal. Und schließlich eine nicht leergetrunkene Flasche Bier, verschmäht ganz sicher deshalb, weil im Vergleich zu einem Schnaps nicht genug Alkohol drin war.
Und schon bekommt der Leser genau die Informationen, die er braucht, um sich ein umfassendes Bild über die Vorurteile des Journalisten zu machen.
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