Dienstag, 10. August 2010

Scheinheiligkeit

Kann es sein, dass im Moment die Scheinheiligkeit der Gesellschaft einen neuen Level angenommen hat? Oder fällt sie mir einfach nur mehr auf als früher?

Da gibt es ein krisengesichertes oberes Drittel der Gesellschaft - meist höhere Beamte und Vermögende - die in die Politik gehen und die sich mehr um die Sicherheit der Banken als um die soziale Sicherheit der Bevölkerung scheren. Da wird absichtlich Lohndumping gefördert, und dann jammert man über das fehlende Geld bei der Sozialversicherung. Da treibt man die Privatisierung der Rentenversorgung voran und kürzt damit zugleich die Einnahmenseite der gesetzlichen Rente. Da erhöht die SPD das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre, und zwei Jahre später stellt Sigmar Gabriel ganz überrascht fest, dass es für Menschen im Rentenalter kaum Arbeitsplätze gibt.

Das, was an Lügen über die angebliche soziale Hängematte von Hartz-IV-Empfängern verbreitet wird, erinnert mich allmählich an einen Film, den 1942 die Nazis in Auftrag gaben. Mit getürkten Aufnahmen sollte gezeigt werden, wie luxuriös die Menschen in Warschauer Ghetto leben. Der Film wurde aus unbekannten Gründen nie fertig gestellt, vielleicht war selbst den Nazis eine solche Lüge zu dreist. Heute erzählt man hingegen ungeniert die Lüge, Hartz-IV-Empfänger seien alle unausgebildet (dabei hat die Hälfte eine abgeschlossene Berufsausbildung) und lebten zum Teil besser und reicher als die arbeitende Bevölkerung. Zum einen will man offenbar davon ablenken, dass Hartz-IV nichts anderes ist als staatlich verordnete Armut. Zum anderen will man die Bevölkerung damit gezielt auf weitere Kürzungen im Sozialbereich einstimmen.

Parallel dazu wird immer wieder der Fachkräftemangel beklagt. Dabei gibt es einen solchen Mangel überhaupt nicht, sieht man sich die Zahl der gut ausgebildeten Jobsuchenden an. Nur sind die halt "zu alt" (über 40) und "zu teuer" (die wollen dreisterweise wenigstens soviel verdienen, um davon einigermaßen gut leben zu können). Außerdem braucht die Industrie fürs Lohndumping natürlich ein großes Heer an Arbeitslosen. Also hofft man nun auf billige Inder und ärgert sich, dass die lieber nach Amerika gehen.

Aber ich weiß, ich weiß: Es ist Optimismus angesagt. Ein böser Spielverderber ist der, der behauptet, dass die deutsche Exportindustrie zurzeit vor allem von der Euro-Schwäche profitiert. Vielleicht will uns die Regierung ja einreden, es liege an der unglaublich wichtigen Mehrwertsteuersenkung für Hotels, was den Steuerzahler eine schlappe Milliarde (pro Jahr!) kostet.

Ein halber Kommunist ist natürlich der, der es wagt zu behaupten, ein "Sparpaket", das Hartz-IV-Empfänger belastet und Besserverdienende schont, sei ungerecht. Und die Argumentationskette von einer Frau Schröder, die erklärt, weshalb man Hartz-IV-Empfängern das Elterngeld wegnimmt, während man es oberen Einkommensschichten ohne Abstriche belässt, ist doch auch schlüssig. Wer dagegen lästert, der ist halt vom "Sozialneid" befallen. Und gar keine Ahnung hat nun wirklich der, der einfach nicht sehen will, was für eine ultimativ-genial-innovative Gesundheitsreform es doch war, als man einseitig die Krankenkassenbeiträge für Pflichtversicherte erhöhte. Wobei darin sogar wirklich eine gewisse Logik steckt. Früher ging man noch davon aus, Arbeitnehmer und Arbeitgeber seien an der Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung interessiert. Doch warum sollte das heute einen Arbeitgeber interessieren? Der Markt der Arbeitslosen bietet ihm doch jederzeit hinreichend meist jüngeren und billigeren "Ersatz".

Es muss herrlich sein für krisensichere Regierende. Man kann endlos Milliarden an Staatsgeldern verplempern, um die Vermögen der Reichen (und damit die Parteispenden) und die Bonis der Banken-Manager zu schützen. Und dann kann man im gleichen Moment bei den Sozialausgaben kürzen. Medien, die das hinterfragen, scheinen nahezu ausgestorben.

Dank Schröder und Müntefering gibt es längst auch keine politische Alternative mehr. Wer tatsächlich noch sowas Albernes wie soziale Gerechtigkeit will, der wird eiskalt an die Fanatiker der Linkspartei verwiesen.

Es gibt viele Punkte, die die Linkspartei schlichtweg unwählbar machen. Aber selbst, wenn man diese für einen Moment ignoriert: Viel erwarten muss man sich von dieser Partei auch nicht. Immerhin gönnt sich auch die Linkspartei einen Parteivorsitzenden, der gerne Porsche fährt und der aus Steuergeldern neben den Diäten von fast 8000 Euro und der steuerfreien Pauschale von 4000 Euro noch mal rund 3.500 Euro Zulage von der Partei und weitere fast 2000 Euro von der Fraktion der "Linken" bekommt, obwohl er gar keine Funktion in der Bundestagsfraktion hat. Mit anderen Worten: Eine grundlose Doppelbezahlung - finanziert aus Steuergeldern. Das macht den Mann ungefähr so glaubwürdig wie eine Bischöfin, die Verantwortung und Moral predigt und dann nachts sturzbesoffen durch rote Ampeln fährt.

Und alle jammern.

Die Geistlichen beklagen einen Verlust der Spiritualität. Komisch. Dabei müsste einem doch das religiöse Herz aufgehen, wenn christliche Bischöfe im Zusammenhang mit der Tragödie der "Loveparade" von einem "strafenden Gott" schwafeln, ohne zu erklären, weshalb es dann angesichts jüngster Skandale der Kirche nicht unentwegt Blitze auf den Petersdom hagelt.

Und die Politiker lamentieren als Gipfel der Scheinheiligkeit kopfschüttelnd über die grassierende "Politikverdrossenheit", obwohl nun auch der letzte erkennen kann, dass es sowohl Regierenden als auch der "Opposition" nur noch um die eigenen Pfründe und den Erhalt von Privilegien geht.

1 Kommentar:

  1. Ich glaube die privat Versicherten bekommen dafür auch kein staatliches Geld.

    Beim Renteneintrittsalter wäre ich für ein variables Alter, 65-75 Jahre z.B. Umso später man in Rente geht, umso mehr bekommt mann aber natürlich. Gibt ja Leute, die länger arbeiten würden aber nicht dürfen.
    Im allgemeinen ist es aber keine Versicherung mehr. Die Rentenversicherung wurde eingeführt als man noch bis zum Lebensende gearbetet hat. Da kam es ganz selten vor, dass jemand aus Altersgründen nicht mehr arbeiten konnte, das Rentenalter hat man einfach selten erreicht. Mittlerweile ist die Lebenserwartung ja sehr gestiegen und das Rentenalter wird normalerweise überschritten. Deswegen ist es keine Versicherung mehr sondern eine Vorsorge.
    Das nur nebenbei.

    Hartz4 ist keine Armut sondern Hilfe von der Gemeinschaft, damit etwas auf dem Teller und ein Dach über dem Kopf hat. Wenn ich Geld von anderen bekommen um zu überleben, ohne etwas dafür zu tun, dann beschwere ich mich doch nicht. Die ca. 350€ sich auch ausreichend. So viel hab ich mal an BaföG bekommen. Nur musste ich davon noch meine Miete bezahlen und hatte am Ende vom Monat immer noch was übrig.

    Das Problem am Sozialsystem ist, dass es immer mehr Empfänger und immer weniger Einzahler gibt.
    Und dann werden eben noch höhere Summen verlangt.

    In den USA war das Sozialsystem auch mal Voluminöser als jetzt. Als man es nicht mehr finanzieren konnte, wurden die Sätze gesenkt und auf fünf Jahre begrenzt, dachach gabs nichts mehr. Die Folge: Die Arbeitslosenzahlen sind massiv gesunken.

    Fachkräftemangel gibt es sicher hier und da, genauso nicht oder geringqualifizierte. Nur braucht man in einem Hochtechnologieland eben wenige davon. Dass man Analphabeten aus Anatolien herholt anstatt Fachkräfte, gegünstigt die Situation natürlich nicht.

    Nicht dass du denkst ich übe immer nur negative Kritik. Bei den Punkten zu denen ich nichts sage, hab ich entweder kein Bock was zu schreiben, oder hab's schon in nem anderen Beitrag getan, oder hab keine Meinung dazu oder stimme dem eben zu.

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