Dienstag, 28. September 2010

Jud Süß - Film ohne Beef

In den 1980er Jahren machte die US-Ham- burger-Kette "Wendy's" durch einen Werbefeldzug einen Satz sehr populär: "Where's the beef?" In dem Spot kaufen drei ältere Damen einen Burger, bei dem zwar das Brötchen sehr groß, der Fleischanteil aber sehr gering ist. Eine der dreien ruft daher immer nur: "Where's the beef?". Der Satz ging in die amerkanische Popkultur ein und wurde bald auch bei politischen Diskussionen genutzt.

Leider kam mir genau dieser Satz bei dem Film "Jud Süß - Film ohne Gewissen" in den Sinn. Darin geht es um dem antisemitischen Hetzfilm "Jud Süß", der von den Nazis in Auftrag gegeben wurde und der 1940 in ganz Europa mit großem finanziellen Erfolg gezeigt wurde.

"Jud Süß - Film ohne Gewissen" erzählt die Geschichte des Hauptdarstellers Ferdinand Marian, der sich zunächst gegen die Rolle wehrt, sie dann gezwungenermaßen annimmt, dabei noch in dem Glauben, die Hassfigur durch eine menschliche Darstellung liebenswert machen zu können, was ihm jedoch letztlich misslingt. Trotz mehrerer Möglichkeiten, Deutschland zu verlassen, bleibt Ferdinand Marian, lässt sich feiern und hofieren, selbst dann noch, als seine Frau von den Nazis abgeholt und ermordet wird. Kurz nach Ende des Krieges begeht er Selbstmord.

Der Film ist vor allem in den Szenen, die schockieren sollen, unglaublich platt. Angesichts des Regisseurs kein Wunder. Wer einen solchen Stoff verfilmt und tatsächlich glaubt, er müsse die Wirklichkeit verfälschen, um mehr Dramatik zu entwickeln, der hat diesen Stoff einfach nicht verstanden. Was kann wohl noch dramatischer sein als der Fakt, eine Hassfigur in einem Film gespielt zu haben, der dafür benutzt wurde, einen Völkermord von beispiellosem Ausmaß begehen zu können? Aber nein, hier musste man Ferdinand Marian noch eine halbjüdische Ehefrau andichten, die von den Nazis ermordet wurde. Es wurde hinzugedichtet, um den Stoff "dramatischer" zu machen.

Was für ein dummer Mensch kommt auf eine derart dumme Idee?

Was wäre gewesen, hätte man in "Schindlers Liste" der Hauptfigur Oskar Schindler eine jüdische Mutter angedichtet? Hätte der Film dadurch an Dramatik gewonnnen? Ganz sicher nicht. Er hätte an Dramatik verloren.

So auch hier. Der reale Ferdinand Marian hatte bis zum Ende des Kriegs keinerlei persönliche Nachteile. Er hatte Erfolg, glänzende Kritiken, körbeweise Fanbriefe, viele Angebote, sehr viel Geld ... Das, was der Film anrichtete, spielte sich woanders ab. Gerade dadurch aber hätte sein Gewissenskonflikt Dramatik entfalten können.

Man weiß in dem Film überhaupt nicht, worüber Ferdinand Marian gerade unglücklich ist. Ist er unglücklich darüber, was der Film "Jud Süß" anrichtet bzw. anzurichten hilft? Oder darüber, dass seine Frau abgeholt wurde. Hier wurde aus einem Täter mit Gewissenskonflikt ein hilfloses Opfer, für das kein Konfliktpotenzial mehr da ist. Genau dadurch verliert die Figur ihre spannende Ambivalenz.

Leider liefert der "meistdiskutierte Film" (so die Werbung) gar keinen Diskussionsstoff. Das hätten die Produzenten wohl gerne gehabt. Einen großen Skandal, in den die Zuschauer strömen.

Doch die meisten Kritiker diskutieren nicht, sie sind sich einig: Der Film ist über weite Strecken misslungen. Es ist bei einem derartigen Aufgebot an hervorragenden Darstellern (u.a. Tobias Moretti - sehr überzeugend als Ferdinand Marian, Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu - grandios als Joseph Goebbels, Armin Rohde) und bei einem derart interessanten Filmstoff schon fast ein Kunststück, einen so witzlosen Film abzuliefern. Bei der Premiere auf der Berlinale 2010 erntete der Film sogar Buhrufe bei der Pressevorführung. Verrisse wie "überzeichnetes Melodram" (ZDF, aspekte) und "seltsam leer" (critic.de) treffen es.

Der Grund für das Scheitern liegt offensichtlich in der Person des Regisseurs Oskar Roehler, der bereits mit seinem völlig verhunzten Film "Elementarteilchen" bewiesen hat, dass er nichts von der Originalvorlage (dem Roman von Michel Houellebecq) begriffen hat. Besonders treffend schreibt "Der Standard": "Ein Drama, das sich durch Übertreibung widerlegt und eine Farce, die sich nicht weit genug vom Boden der Tatsachen entfernt."

Die Münchner Abendzeitung schrieb hingegen: "Hier geht es um Kino - saftiges, pralles, rückhaltlos unterhaltsames Kintopp. [Mit] perfidem Humor, deftigem Sarkasmus und emotionaler Dichte in den stillen, gefährlichen Szenen." Würde diese Kritik zutreffen - und man hätte aus dem Stoff einen solchen Film machen können - dann hätten wir hier vielleicht einen ähnlich stimmungsvollen Film wie den famosen "Inglourious Basterds" von Quentin Tarantino. In den besten Szenen des Films ist es dem Regisseur sogar gelungen, gewagtes Kino abzuliefern, und genau diese Szenen machen den Film dann sogar einigermaßen sehenswert. Doch dann verfällt der Film wieder in unglaublich selbstweinerliches Pathos, in plumpes Botschafts-Kino, das einfach nur falsch oder verkrampft wirkt.

Ansonsten gibt es über das Thema weitaus bessere Filme und auch bessere Bücher. Ganz empfehlenswert eine Dokumentation mit dem Titel Harlan - Im Schatten von Jud Süß. Ich sah vor einigen Jahren auf ARTE mal einen TV-Film mit dem Titel "Jud Süß – ein Film als Verbrechen?", der - trotz einiger Schwächen - sehenswert war. Beides sind Filme, die das "Spannende" an den historischen Fakten entdeckten, Filme, die gar nicht auf die Idee kamen, diesem Thema ein falsches (und weit weniger fesselndes) Melodram überstülpen zu müssen.

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