Mittwoch, 4. November 2009

Unter dem Kreuz rechnet's sich besser

Es war 1973. Ein jüdischer Anwalt in Düsseldorf störte sich an einem Kruzifix, das gut sichtbar auf dem Richtertisch des Gerichtssaals aufgestellt war. Der Anwalt wollte wissen, warum dieses Kreuz da stehe. Der Richter konnte keine Verordnung oder sonstigen Grund benennen, seine Argumentation ging eher in Richtung: "So ist das halt in Deutschland." Daraufhin wollte der Anwalt das Kruzifix entfernt haben. Das Gericht weigerte sich. Der Anwalt ging vor das Verfassungsgericht. Dort war man der Meinung: So ist das überhaupt nicht in Deutschland. Das Verfassungsgericht entschied damals: Die Ausstattung von Gerichtssälen mit Kruzifixen ist ein "Widerspruch zur Pflicht des Staates zu religiös-weltanschaulicher Neutralität".

Dabei ging das Verfassungsgericht auch darauf ein, dass sicher einem Großteil der Bevölkerung das Kruzifix im Gerichtssaal vollkommen egal sei. Das spielte aber keine Rolle: "Dennoch muss anerkannt werden, dass sich einzelne Prozessbeteiligte durch den für sie unausweichlichen Zwang, entgegen eigenen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen "unter dem Kreuz" einen Rechtsstreit führen und die als Identifikation empfundene Ausstattung in einem rein weltlichen Lebensbereich tolerieren zu müssen, in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG verletzt fühlen können." Das heißt zu Deutsch: Eigentlich hat das Kreuz doch in einem Gerichtssaal, in dem normalerweise ganz weltliche Dinge verhandelt werden, überhaupt nichts verloren.

Das war vor 36 Jahren.

Vor einigen Jahren hat nun ein italienisches Kassationsgerichts entschieden, dass Kreuze in Wahlbüros gegen die religiöse Neutralität des Staates verstoßen. Solange es politische Parteien gibt, die sich als "christlich" bezeichnen, hat das Kreuz nicht mehr nur eine religiöse, sondern auch eine politische Symbolkraft. Dass dies in einem zur Neutralität verpflichteten Wahlbüro nichts verloren hat, haben sogar italienische Richter erkannt.

Bleibt die Frage: Kruzifixe im Klassenzimmer. Den Ort, in dem sich junge und formbare Menschen viele Jahre ihres Lebens laut Gesetz aufhalten müssen. Und nach wie vor ist es mir vollkommen rätselhaft, wieso es über dieses Thema überhaupt noch eine Debatte geben kann.

In Bayern gibt es inzwischen diese Debatte. 1995 hatte das Verfassungsgericht ein bayerisches Gesetz für verfassungswidrig erklärt, das Kruzifixe in Klassenzimmern zwingend und verpflichtend vorschrieb. Das Verfassungsgericht hatte sich damals nicht dagegen verwehrt, dass überhaupt Kruzifixe hingen (auch wenn dies in den Medien immer wieder so dargestellt wurde), sondern dass das bayerische Gesetz das Aufhängen der Kreuze so kategorisch vorschrieb. Inzwischen gibt es ein neues Gesetz, das allerdings nicht viel geändert hat. Nun können Schüler dem Kruzifix widersprechen. Ob es dann aber hängen bleibt oder nicht, entscheidet allein der Schulleiter nach freiem Ermessen.

In Italien wiederum gibt es dieses Ermessen nicht. Noch 2002 hat die Erziehungsministerin in einem Schreiben die Schulleiter angewiesen, Kruzifixe auch im Konfliktfall nicht abzuhängen. Als eine aus Finnland stammende Italienerin sich gegen das Kruzifix wehrte, weil sie ihre Kinder in einem Umfeld "frei von Religionen" unterrichtet wissen wollte, wurde dies abgelehnt. Das Gericht urteilte sogar mit einer besonders dreisten Argumentationslogik. Man behauptete, das Kruzifix sei ja ohnehin längst nicht mehr so religiös wie immer behauptet. Vielmehr sei es "Symbol der italienischen Geschichte, Kultur und Identität. Damit sei es auch ein Symbol der Prinzipien von Gleichheit, Freiheit und Toleranz sowie der Trennung von Kirche und Staat." Das Kruzifix in einer staatlichen Schule als Zeichen der Trennung von Kirche und Staat? Gut, als Symbol der italienischen Geschichte könnte das Kruzifix gut herhalten. Das Gesetz, welches Kruzifixe zwingend in Italiens Schulen und Gesichtssälen vorschreibt, ist nämlich von 1924, stammt also aus der Regierungszeit Mussolinis.

Es wundert mich nicht, dass die sieben Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einstimmig urteilten: Solange die Schüler aufgrund der Schulpflicht gezwungenermaßen eine Schule besuchen, müssen sie vor staatlichen Glaubensbekundungen geschützt werden. Vielleicht sogar gerade in Italien. Dass der Vatikan und bayerische CSU-Politiker die nun bröckelnde Indoktrinierung junger Menschen mit wenig Begeisterung kommentieren, ist klar.

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