Bevor man sich entschließt, das "lästige Fett" loszuwerden, hierzu ein paar Worte: Ich bin der festen Überzeung, dass selbst größte Fettmengen völlig unschädlich sind, wenn sie auf eine entsprechende Muskelmasse treffen. Ich bin auch überzeugt, dass alle Krankheiten, deren Ursachen man gerne dem "zu viel an Fett" zuschiebt, durch ein Mehr an Muskeln völlig beseitigt werden könnten.
Leider war der seit Jahrzehnten grassierende Schlankheitsterror nicht ohne Erfolg. Täglich gibt es neue "Erkenntnisse" von irgendeiner genussfeindlichen Scheinwissenschaft, die angeblich belegen, dass zu viel Fett die Ursache für so gut wie alle Gesundheitsprobleme der westlichen Welt ist.
Wenn heutzutage ein dicker Mensch zum Arzt geht, ist klar, was er da zu hören kriegt. Ach was, er kriegt es oft gar nicht zu hören! In vorauseilendem Gehorsam gesteht er meist freiwillig: "Ich weiß, ich weiß! Ich müsste ein wenig abnehmen!"
Abnehmen ist heute die Grundsatzlösung für alles. Ich warte schon auf den Test, der belegt, dass das Übergewicht auch das Ozonloch verursacht.
Seit Jahrzehnten zwingt man dicke Menschen zum Abnehmen. Dabei ist erwiesen: Unter Druck werden dicke Menschen dicker und dünne Menschen dünner. Einen größeren Druck als abnehmen zu müssen, kann es für einen dicken Menschen gar nicht geben. Mit jedem Bissen schlägt das schlechte Gewissen, alle Abendstunden werden zum inneren Kampf mit den bösen Verlockungen, denen man mit "ein bisschen Willenskraft" doch gut widerstehen könnte. All die dünnen Menschen können es doch auch.
Begriffe wie "Esssünden" sprechen für sich. Der Wahn um die lästigen Kilos hat religiöse Züge angenommen. Um es mal blasphemisch zu formulieren: Heute würde Jesus wahrscheinlich an Magersucht sterben, um die Esssünden all der gottlosen dicken Menschen auf sich zu laden. Er würde sich qualvoll zu Tode hungern für all jene, die zu schwach sind, sich den willkürlichen Geboten vom "gesunden Essen" zu unterwerfen.
Warum denkt man nicht endlich um? Seit Jahrzehnten staunt die Wissenschaft über die großartige Wirkung von kräftigen Muskeln. Warum sagt kein Arzt: "Hmm, bei Ihrem Gewicht sollten Sie mindestens fünf Kilo mehr Muskeln haben." Dicke brauchen nicht weniger! Sie brauchen mehr!!!
Man muss fast schon hysterisch lachen, wenn man einen weiteren Fakt bedenkt: Dicke Menschen bauen viel leichter Muskulatur auf als dünne. Viel leichter!!! Warum verordnet man also nicht etwas, das - im Gegensatz zum Abnehmen - dicken Menschen leicht fällt? Etwas, das Glückshormone produziert? Etwas, das Selbstvertrauen gibt? Etwas, das Energie gibt? Etwas, das Knochen und Sehnen stärkt? Etwas, das nicht etwa Stress erzeugt sondern Stress abbaut? Etwas, das die chronischen Rücken- und Nackenschmerzen beseitigt?
Muskeltraining kommt dicken Menschen auch insoweit entgegen, weil man dafür überhaupt nicht sportlich sein muss. Anders als beim Joggen, bei dem ein dicker Mensch schon nach zwei Minuten mit hochrotem Kopf japsend innehalten muss, um sich dann so richtig als Looser zu fühlen, stellt man beim Gewichtetraining einfach das Gewicht ein, mit dem man gerade mal so zehn bis 15 Wiederholungen ausführen kann. Fertig. Ganz egal, ob man Jugendlicher oder Rentner ist, man kann sofort auf dem eigenen Leistungsniveau anfangen.
Die meisten Übungen beim Krafttraining macht man im Sitzen oder Liegen. Es sind nur wenige Bewegungen. Es schont die Gelenke. Und es dauert nicht lang. Das Training, wenn es wirklich konsequent durchgeführt wird, sollte nicht länger als 30 Minuten dauern. Es besteht aus permanenten Pausen. Sowas wie Atemnot gibt es dabei nicht. Zwei Mal die Woche reicht. Drei mal die Woche ist die Obergrenze.
Und es ist nicht etwa so, dass nach dem Training Speisen wie Pasta oder Kartoffel-Gerichte "erlaubt" sind. Man soll sie sogar essen! Ernstzunehmende Fitness-Experten empfehlen nach dem Muskeltraining sogar den Verzehr von Schokolade. Oder eine Handvoll Gummibärchen! Weil man dadurch das Muskelwachstum beschleunigt.
Warum empfiehlt man dicken Menschen immer nur Diäten in Kombination mit Gymnastik oder joggen? Etwas, was die Gelenke erst recht belastet? Einschränkungen und Zwänge, die den Druck erhöhen und letztlich den Fettanteil hochtreiben? Steckt da vielleicht doch eine perfide Absicht dahinter? Oder ist es wirklich nur absolute Inkompetenz? Wahrscheinlich macht es einfach mehr Spaß, dicken Menschen etwas wegzunehmen. Ihnen etwas zu verbieten. Sie für ihre angebliche Völlerei zu bestrafen! Und beim unvermeidlichen Scheitern kann man sie dann zurechtweisen. Jeder dicke Mensch, der mal fahrlässig verkündet hat, auf Diät zu sein, weiß, dass ab diesem Zeitpunkt jeder Griff in die Chipsschüssel mit einem "wolltest du nicht abnehmen?"-Kommentar oder Blick geahndet wird. Ernährungsexperte Udo Pollmer hat den Diätwahn als "Gewalt von Frauen gegen Frauen" bezeichnet. Wobei ich allen Frauen als schwachen Trost versichern kann: Auf Männer wird inzwischen der gleiche Druck ausgeübt.
Und noch etwas: Ist die Muskulatur erst einmal aufgebaut, wäre es auch viel leichter, das Fett tatsächlich loszuwerden. Wenn man das dann überhaupt noch für notwendig hält. Denn plötzlich sind alle Werte im grünen Bereich, der Dicke fühlt sich gut und entspannt...
Wer jetzt zu denen gehört, die sagen: Gut und schön, aber ich will mein Fett wirklich loswerden, denen kann ich sagen: Verstehe ich vollkommen. Für euch ist Teil 5 der Reihe. Bereits morgen hier in diesem Blog...
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Nun, die Übergewichtigen sind vielleicht nicht Schuld am Ozonloch, aber an der Klimaerwärmung schon ;-)
AntwortenLöschenhttp://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30164/1.html
Schön beschrieben... Ich hoffe, dass das möglichst viele Menschen lesen, die sich dem Diktat des Diätwahns ausgesetzt sehen :-)