Es dürfte so ein Jahr her sein, da stand im SPIEGEL ein herrlicher Artikel, der aufzeigte, dass die Ernährung inzwischen den Status der Religion eingenommen hat. Es gibt "Sünden" und "Gebote". Es gibt das Allheilversprechen der "gesunden Ernährung" als modernes Paradies (man bleibt für "immer jung", "schlank" und "gesund"), zugleich gibt es die Hölle: Wer "sündigt", der wird dick, krank und kriegt Krebs.
Der selbsternannte Ernährungs-Jesus Jamie Oliver zog dann auch schon los ins sündige Land des Fast-Foods, um seine Lehren vom gesunden Essen unter das heidnische Volk der Junkfood-Esser zu bringen, musste dort aber verzweifelt aufgeben, weil seine Lehre vom Besseren Essen einfach nicht akzeptiert werden wollte. Und alle schütteln eifrig den Kopf über all die vielen verlorenen Seelen der unbekümmerten Junk-Esser. Der englische Spruch "lies make baby Jesus cry" (Lügen bringen den kleinen Jesus zum Weinen) muss neu formuliert werden. "Junk food makes Jamie Oliver cry". Und da wir ja alle wissen, dass es ganz böses Essen gibt, ganz sündiges Essen, daher hinterfragt auch niemand, wieso eigentlich eine ganze Nation ihr Essensverhalten ändern sollte, bloß weil ein unendlich nervtötender Engländer daherkommt und ihnen das einreden will.
In den USA verbannen viele Schulen inzwischen das "böse Essen". CNN hat berichtet, dass ein Schüler an einer Schule in Connecticut, der immerhin Klassensprecher und "Ehren-Schüler" war, für drei Tage vom Unterricht ausgeschlossen wurde, weil er auf dem Schulgelände doch tatsächlich einen Schokoriegel verzehrte. Der (übrigens sehr normalgewichtig aussehende) Schüler durfte sich auch nicht länger "Ehren-Schüler" nennen und auch nicht am "Ehren-Schüler-Essen" teilnehmen. (Logisch, er hätte dort am Ende noch eine Cola getrunken!!!) Außerdem musste er seine Rolle als Klassensprecher abgeben. Im Grunde kann er doch froh sein, dass er nicht gleich ganz der Schule verwiesen wurde.
Ich denke, das ist der richtige Weg und nur konsequent. Und sagen wir, wie es ist: Früher ist man mit Ketzern noch ganz anders umgesprungen. Ein solcher Akt ungehobelter Blasphemie muss drakonisch bestraft werden, wollen wir nicht alle früher oder später schnurstracks in die Kalorien-Hölle fahren. Die nächsten Schritte sind: Der Ausbau der Weight Watchers zur Weltreligion, öffentliche Fasten- und Fitness-Riten und das Kreuzigen einer Leitfigur in der Hoffnung, sie könne so all die überflüssigen Fett- und Kalorienpölsterchen auf sich nehmen. An den Eingängen diverser Fitness-Studios könnten wiederum Ablassscheine für den sorglosen Verzehr von sündigem Essen erworben werden. Im Anschluss daran kann natürlich eine reuevolle Beichte beim nächsten Weight-Watchers-Coach nicht schaden. Die Buße kann man ja in der Zahl zu vertilgender Sellerie-Stangen bemessen.
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